Reportage: Frauen Empowerment

Nehmen Sie sich Ihren Raum – machen Sie den Gorilla!
Wie Frauen für ein politisches Engagement gestärkt werden.


„Stellen Sie sich auf einen festen Untergrund. Die Beine etwas mehr als schulterbreit. Den
Kopf nach oben, das Gesäß leicht nach hinten gestreckt. Und nun gehen Sie in die Knie und
wippen Sie. Nach oben und unten, nach links und nach rechts. Und noch einmal und noch
einmal …. Richten Sie sich wieder auf. Spüren Sie einen Unterschied?“
Ja, das ist der Gorilla. Ohne Trommeln auf die Brust. Denn um dieses Imponiergehabe, das
auch nur die männlichen Gorillas zeigen, geht es nicht. Es geht um eine Stärkung der
Körpermitte und die Präsenz im Raum, die man sich durch eine solche Stärkung erwirbt.
Der Gorilla war eine der Übungen im Kurs „Bayern – ich misch mich ein: Mehr Frauen in
Gemeinderäte“. Er wurde im vergangenen halben Jahr in Nördlingen (Landkreis Donau-Ries)
und im niederbayerischen Wallersdorf angeboten. Organisiert wurden die Kurse vom Verein
„Frauen aufs Podium“ und dem Landesverband Frauenlisten Bayern. Frauen, die sich auf
regionaler Ebene politisch schon engagieren oder es vielleicht vorhaben, sollten durch die
Kurse ermutigt und unterstützt werden. Die politische Orientierung der Frauen war für eine
Teilnahme nicht relevant. Die Nemetschek Stiftung und die Petra Kelly Stiftung haben die
Kurse finanziell unterstützt.
Frauen sollen in ihrem Handeln ermutigt und bestärkt werden. Dabei hilft das Training mit
neuen Werkzeugen und Denkmustern. Sie kennenzulernen und einzuüben war Ziel der fünf
Workshops, die im Kurs angeboten wurden. Edda Dietrich und Jana Stecher verdeutlichten
beispielsweise im Workshop „Frauen, Männer: Macht“, wie unterschiedlich Verhalten und
Leistungen von Frauen und Männer wahrgenommen werden. „Besonders in Erinnerung
geblieben ist mir das Beispiel mit den Bildern“, erzählt Daniela T. „Dasselbe Bild. Einmal wird
als Maler ein Mann genannt, einmal eine Frau. Und für die Betrachter ist es viel mehr wert,
wenn es ein Mann gemalt hat. Das zeigt doch sehr deutlich, wo das Problem liegt.“
Daniela T. ist eine Teilnehmerin, die bereits politisch engagiert ist. Sie ist 47, angestellt und
seit der letzten Kommunalwahl im Gemeinderat. Der Rat ihrer 1200-Einwohner-Gemeinde hat
eine Besonderheit: vier von zwölf Mitglieder sind Frauen. Ansonsten liegt in Bayrisch Schwaben
der Anteil der Frauen in den Gemeinderäten knapp über einem Fünftel. Der Landkreis Donau-Ries
liegt mit 19 % deutlich darunter. Hier ist nur eine einzige Gemeinde paritätisch besetzt. In vier der
44 Gemeinderäten sind überhaupt keine Frauen vertreten. Bürgermeisterinnen gibt es nur in drei
Kommunen und der Landrat ist selbstverständlich ein Mann. Auf Parteienebene zeigt sich ein
deutliches Bild: Die Grünen haben die Parität von Männern und Frauen erreicht, die SPD folgt mit
43 %, die konservativen Parteien sind weit abgeschlagen (Freie Wähler 25 %, CSU 18 %).
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Die Daten, die das Bayerische Landesamt für Statistik im Jahr 2020 über „Frauen in der
Wahlstatistik“ veröffentlicht zeigen, dass dies keine Besonderheit ist: über alle Gemeinden und
Kreise und alle politischen Entscheidungsebenen engagieren sich in Bayern zu wenige Frauen in
der Politik. Bayern hat hier leider auch keine Sonderrolle im Bund: Parität gibt es nur in wenigen
Großstädten. Die Frauen lassen sich in Deutschland also von den Männern regieren.
Vielleicht muss man das Ganze auch historisch betrachten: Bei „den alten Griechen“, deren
Philosophien uns heute noch prägen, gehörten Frauen – wie Sklaven – nicht zu denen, die
über die Geschicke eines Gemeinwesens bestimmen sollten. Und das Frauenwahlrecht gibt
es erst seit 105 Jahren. Den Frauen fehlen Selbstverständlichkeiten und Vorbilder. Eine
Bundeskanzlerin oder eine Königin mögen ein Umdenken anstoßen, aber zu einer
grundsätzlichen Veränderung der politischen Kultur wird es sicher nicht reichen. Darauf hat
auch Gabi Becker in ihrem Workshop „Eigene Werte finden“ hingewiesen: „Wir haben die
Geschichte in uns. Mit einer Eigenermächtigung fangen wir gerade erst an“. Die
Herausforderung für Frauen ist es, die Macht über ihr eigenes Leben zu gewinnen, indem sie
sich selbst mit Macht – auch politischer Macht – ausstatten. Das individuelle Selbstvertrauen,
es auch zu können und die Bereitschaft, sich gegen Tradition und Gewohnheiten zu stellen,
müssen also zusammenkommen, damit Frauen sich politisch engagieren oder „sich aufs
Podium stellen“.
Imponiergehabe benötige sie in ihrer Gemeinderatsarbeit aber nicht, sagt Daniela T. Die
Frage, ob es eine „besondere Art von Frau“ sei, die sich in Gemeinderäten engagiert, stelle
sie sich schon. Die Frauen in ihrem Gemeinderat beispielsweise seien eher wenig emotional,
sie argumentierten sehr sachlich „Damit werden sie nicht nur von mir als sehr kompetent
wahrgenommen. Und sie sind für mich gute Vorbilder“, so Daniela. Was aber heißt es,
Gemeinderätin zu sein?
Die kommunalen Räte tagen nicht-öffentlich und öffentlich. „In den nicht-öffentlichen Sitzungen
behandeln wir normalerweise sehr sachlich und engagiert die Themen, die auf der
Tagesordnung stehen“, sagt Petra Z-S. Sie ist 66 Jahre alt und seit 16 Jahren Mitglied des
Kreistages in einer ländlichen Region. Der Frauenanteil beträgt dort 27 %. „Die Bühne ist die
öffentliche Sitzung. Dort findet die Show statt“. Dort gebe es dann auch schon mal einen Angriff
auf den politischen Gegner. „Sehr selten unter der Gürtellinie“, wie Petra betont. Die
„Öffentlichkeit“ bestehe allerdings häufig nur aus dem Vertreter, der Vertreterin der örtlichen
Presse. Auch in Gemeinderatssitzungen gibt es selten neugierige Bürgerinnen und Bürger.
Sie nehmen meist nur dann teil, wenn ein Thema behandelt wird, das für sie persönlich
relevant ist, wie beispielsweise ihr Bauantrag. Dabei werden in den Gemeinden und Städten die
Entscheidungen getroffen, die unseren Alltag deutlich beeinflussen: Erweiterung der Plätze in den
Kindergärten, der Aufbau von Nachbarschaftshilfen, die Seniorinnen und Senioren unterstützen.
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Gemeinden können für ein ansprechendes Umfeld sorgen und so ihre Attraktivität für
Hausärztinnen erhöhen. Es ist relevant, welche Straße wie beleuchtet wird, wie und wo eine
Begrünung stattfindet und ob die Freiwillige Feuerwehr gut ausgestattet ist. Die Entscheidungen
darüber treffen heute männliche Räte. Und sie werden auch entscheiden, ob künftig
mandatsbedingte Kosten für die Betreuung von Angehörigen erstattet werden, wie es nach der
bayerischen Kommunalrechtsnovelle von 2023 möglich ist.
Wie sich konkrete Gemeinderatsarbeit anfühlt, konnten die Teilnehmerinnen bei Maria
Deingruber im Workshop „Rede vor Publikum“ erleben: eine Sitzung wurde simuliert.
Im politischen Alltag gibt es zu jeder Sitzung eine Einladung mit Tagesordnung. Unterlagen zu
den Themen, über die diskutiert oder entschieden werden muss, liegen den Mitgliedern
rechtzeitig vor. Einziger offener Punkt ist „Sonstiges“ am Ende der Sitzung. Deingruber hat für
die Simulation eine Tagesordnung vorgegeben, jede Teilnehmerin hatte ein Plädoyer für ein
Thema vorzubereiten.
Wie wichtig Körperhaltung und Sprechweise sind, hatte Bettina Ullrich in ihrem Workshop
„Stimme & Präsenz“ mit den Teilnehmerinnen erarbeitet und geübt. Es fehlte noch die Frage,
wie ein solches Plädoyer zu gestalten ist. Maria Deingruber lieferte dafür das Handwerkszeug:
„Was ist Dein Ziel und wer ist Deine Zielgruppe?“ Das sollte sich eine Rednerin als erstes
beantworten. Die Argumente bauen dann darauf auf. Dafür empfiehlt sie eine Dreier-Struktur:
„Ist – soll – Weg“ ist eine Möglichkeit. „Werte – Fakten – Forderung“ eine andere. Aufstehen
für den Beitrag? „Wenn es Dir wichtig ist, ja.“ Auf jeden Fall warten, bis alle aufmerksam sind.
Und mit dem letzten Satz einen deutlichen Punkt setzen.
Die Anspannung und Konzentration der Teilnehmerinnen sind zu Beginn der Sitzungs-
Simulation deutlich zu spüren. Die erste Rednerin steht auf und tritt nach vorne, wie damals
Annalena Baerbock in einer der Kandidaten-Runden für die Bundestagswahl 2020. Es verfehlt
auch im Workshop nicht seine Wirkung, alle sind aufmerksam. Das Plädoyer ist gut vorbereitet,
trotzdem ist die Nervosität der Rednerin deutlich zu spüren und zu hören. Plötzlich eine
Sprechpause, eine Ausrichtung und Festigung der Haltung – und der Rest folgt flüssig, klar,
strukturiert. Es war „der Gorilla“, sie habe sich grade rechtzeitig noch daran erinnert, sagte die
Teilnehmerin in der Nachbesprechung. Wir konnten ihn alle sehen und waren beeindruckt von
der Wirkung. Deutlich wurde, was es heißen kann, den Schutz des eigenen Egos zu verlassen
und zu seinem authentischen Sein zu finden: mit einer neuen Handlung tritt man aus dem
Schutz heraus und kann etwas Neues schaffen.
Für Angelika W. ist dieses Bild des Heraustretens das, was sie mit in ihren Alltag genommen
hat. „Ich frage mich jetzt häufig, ob ich etwas anders machen könnte“. Angelika W. ist 48 Jahre
alt und selbständig. Auch sie wohnt in einer kleinen Gemeinde auf dem Land. Eine Mitarbeit
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im Gemeinderat war und ist kein Ziel für sie. „Doch auch mein Engagement ist politisch“. Sie
hat eine führende Funktion bei den UnternehmerFrauen im Handwerk und will künftig noch
mehr Verantwortung übernehmen. Der Kurs war eine „ganz tolle Auffrischung“ dessen, was
man eigentlich weiß, aber nicht konsequent anwendet. „Ich fühle mich gestärkt für meine
künftigen öffentlichen Auftritte“.
Für die gremienerprobte Petra Z-S. war die Simulation der Sitzung ein gutes Übungsfeld. „So
konnte ich ausprobieren, wie Floskeln wirken und Killerphrasen. „Frauen wollen häufig vor
allem lieb sein, Friede, Freude verbreiten und halten sich deswegen zurück“, sagt sie. „Doch
glaubhaft werde ich erst, wenn mir egal ist, welche Reaktion kommt“.
Für Ute K., 59 Jahre alt, steht wie bei Angelika das gesellschaftliche Engagement außerhalb
politischer Parteien und Gremien im Vordergrund. „Mir ist der Weg greifbar geworden, wie ich
mich persönlich weiterentwickeln kann“. Das Bild, wie es sein soll, werde konkreter. Dazu habe
vor allem auch der Workshop „Kraftvoll im kommunalpolitischen Ehrenamt“ von Karin Grahn
beigetragen. Ihr Thema war Resilienz, innere Stärke und Widerstandskraft. Optimismus und
Zuversicht, Gestaltungskraft, Selbstregulation und Selbstfürsorge tragen dazu bei. Und es
gehört auch dazu, sich öffentlich anzuerkennen. Das wurde von den Teilnehmerinnen immer
wieder gefordert wurde und setzte sie meist auch unter Druck.
Gemeinderätin Daniela T. fühlt sich gestärkt für einen ersten öffentlichen Auftritt im Gremium.
„Ich habe noch nie eine Rede gehalten, hatte sehr viel Respekt vor der Aufgabe. Jetzt habe
ich gute Werkzeuge an der Hand, wie ich sie vorbereiten kann“. Und sie appelliert an alle
Frauen, die sich überlegen, ob sie sich politisch engagieren: „Macht es! Ihr könnt nur gewinnen
und die Gesellschaft kann nur gewinnen“.
Die nächsten Kommunalwahlen in Bayern sind 2026 und die Suche nach Kandidatinnen wird
bald beginnen. Wenn Sie jetzt überlegen, ob Sie sich engagieren sollen, nehmen Sie sich
etwas Raum und machen Sie den Gorilla.
Bitte um Rücksprache, falls Sie für den Druck Veränderungen vornehmen wollen!

Autorin:
Dr. Gitte Händel
Richard-Wagner-Straße 38, 86720 Nördlingen
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